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Keine Frida Kahlo-Situation:

Gedanken zur Kun­st als Krankheits-Bewäl­ti­gung und deren Grenzen

Hal­lo, mein Name ist Judith und ich zeichne seit 2021 aus dem Bett her­aus. Einen Roll­stuhl ver­wen­den oder aufrecht sitzen kann ich in meinen kurzen kreativ­en Zeit­en nicht. Was aus ein­er Notwendigkeit statt nor­maler Kom­mu­nika­tion begonnen hat (Sprechen oder Ther­a­pie sind nicht möglich), hat sich im Laufe der Zeit zu ein­er Pas­sion entwick­elt, und Men­schen ver­wen­de­ten Kom­pli­mente wie „mod­erne Fri­da Kahlo“ und „Tarot-Set-geeignet“, wenn sie meine Arbeit­en beschrieben. Es bedeutet mir auch unheim­lich viel, wenn Men­schen sich in meinen Werken wiederfind­en oder sie ein­fach nur inter­es­sant finden.

Die Kun­st und Kreativ­ität, sei sie noch so klein, hat mir also auf der einen Seite unbe­stre­it­bar geholfen: und sei es nur als Eskapis­mus, oder, mit viel Hil­fe, Teil­habe an einem Leben abseits der Kranken-Com­mu­ni­ty: sie ist ja etwas, das mehrere Wel­ten verbindet, und ver­sucht, aus schlim­men Bedin­gun­gen etwas Schönes zu schaffen.

Und trotz­dem ist das hier keine Fri­da Kahlo-Sit­u­a­tion, Kun­st keine Schmerz-Bekämp­fung, und deren „Macht“ abseits der Roman­tisierung von kün­st­lerisch täti­gen Kranken — ger­ade für bes­timmte Krankheit­en — begren­zt. Das ist mir wichtig zu sagen, irgend­wie zu ver­mit­teln, begreif­bar zu machen.

ME/CFS, ins­beson­dere in ein­er schw­eren, pro­gres­siv­en Form, ist eine Krankheit, bei der die Uhren anders tick­en. Was für andere ein „flow“, eine beruhi­gende Tätigkeit sein kann, ist für schw­er ME/CFS-Betrof­fene ein Marathon, der in Folge mit ein­er Zus­tandsver­schlechterung quit­tiert wird. Selb­st der Akt des Schaf­fens selb­st kann mehr Schmerzen bere­it­en als sie ver­hin­dern. Lassen wir das mal auf uns wirken, denn das ist typ­isch ME/CFS, das ist die verkehrte Welt, das geht gegen alles, was wir eigentlich gerne Auf­bauen­des hören möchten.

Die Bilder, die hier gezeigt wer­den, habe ich noch in einem Zus­tand geschaf­fen, in dem der unbarmherzige Kred­ithai mein­er Krankheit noch ein biss­chen san­fter war. In dem ich nicht tage­lang warten musste, um eine Skizze anfer­ti­gen zu kön­nen. In dem der Akt des Zeich­nens mich noch mehr vergessen hat lassen, die Pas­sion meist stärk­er war als die Krankheit. Mit deren Fortschre­it­en wird auch diese Begeis­terung zum Prob­lem. Denn ME/CFS unter­schei­det auf der schw­eren Stufe nicht zwis­chen pos­i­tiv­er und neg­a­tiv­er Anre­gung: alles hat seinen Preis.

Und so verän­dern sich meine Schaf­fens­be­din­gun­gen monatlich: was vorher beruhigt hat, ist jet­zt ein Marathon auf der höch­sten Stress-Stufe. Und das ist ein riesen Unter­schied, genau­so wie es ein­er ist, einen Blick auf den Bild­schirm eines Mobil­tele­fons zu ertra­gen oder nicht.

Diese Krankheit, so sagte eine Fre­undin mal, ernährt sich von Ambi­tio­nen wie Dia­betes von Zuck­er. Und das gilt auch für die Ambi­tion in Bezug auf die Kunst.

Aber wie soll ein kreativ­er Men­sch aufhören, zumin­d­est in Ideen zu denken? Wo bleibt die Hoff­nung in all dem, die Ret­tung durch die schöne Kun­st?
Zum einen bin ich stolz auf alles, was bere­its war, was noch ist, und was kommt. Jedes einzelne Bild. Zum anderen denke ich, dass es eine Hoff­nung gibt, die über das eigene Leben hin­aus­ge­ht: und die Kun­st wird auch dieses überleben.

Kreativ­ität ist für mich ein sehr bre­it­er Begriff gewor­den: an manchen Tagen bin ich froh, einen Stick­er auf buntes Papi­er kleben zu kön­nen und nicht 100% von der Folter ein­genom­men zu sein. Diese „Kun­st“ wird schw­er­lich als solche wahrgenom­men wer­den, und trotz­dem ste­ht sie für mich gle­ichbe­deu­tend, wenn nicht über vie­len anderen Werken: auss­chlaggebend ist immer das Gefühl, das man dabei hat: in diesem Moment kurz inspiri­ert und kreativ zu sein.

Judith, 2022, beim Zeich­nen in ihrem Bett-Ate­lier.
Foto: Matthias Mollner

Judith Schoßböck, PhD, lebt mit sehr schw­erem ME/CFS, Liquorver­lust­syn­drom, Pankreaskrankheit, hor­monellen Störun­gen, sehr schw­erem MCAS etc. bei ihren Eltern in Oberöster­re­ich. In ihren Arbeit­en wer­den Aspek­te und Gefüh­le von Krankheit oft auf absurde oder witzige, aber ästhetis­che Weise the­ma­tisiert und so Raum für Iden­ti­fika­tion­spunk­te für nicht­be­hin­derte und behin­derte Men­schen geschaffen.