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Mila und Sabine Hermisson

Mein Name ist Mila. Ich bin 20 Jahre alt und sehr schw­er an ME/CFS erkrankt. Ich weiß, dass Men­schen, die nicht selb­st betrof­fen sind, sich das kaum vorstellen kön­nen. Deshalb möchte ich hier davon berichten.

Seit Novem­ber 2020, mehr als 20.000 Stun­den, liege ich in totaler Dunkel­heit in meinem Bett. Ich kann meine Arme und Beine kaum mehr bewe­gen, nicht mehr selb­st essen, höch­stens eine Minute sitzen und seit zwei Jahren auch nicht mehr sprechen. Wenn ich etwas mit­teilen möchte (wie hier), dann geht das nur an guten Tagen, wenn ich mit dem Fin­ger Buch­staben forme.

Am schlimm­sten aber ist die Ungewis­sheit, die Angst und die totale Ein­samkeit. Selb­st mein Kater ist zu anstren­gend und kann nicht mehr bei mir sein. Meine Eltern und Pflegerin sind nur für die notwendig­sten Ver­rich­tun­gen im Zim­mer. Alles muss schnell gehen und so ruhig wie möglich, um Reizüber­las­tung und weit­ere Crashs zu vermeiden.

Draußen geht das Leben weit­er. Meine Zwill­ingss­chwest­er und meine Fre­undin­nen macht­en Abitur, waren im Aus­land, began­nen ihr Studi­um. Ich bin hier gefan­gen, Stunde um Stunde, Tag für Tag, Monat für Monat, in Iso­la­tion­shaft, lebendig begraben.

Ich war 15 Jahre alt, als ich mich im Herb­st 2018 nach ein­er Virus­grippe nicht mehr erholt habe. In den ersten Jahren habe ich es mit großer Anstren­gung noch geschafft, das 10. und 11. Schul­jahr zu been­den. Heute weiß ich, dass das für meine Gesund­heit nicht gut war, aber ich hat­te so viele Pläne. Ich war es gewohnt, trotz Schwierigkeit­en den Opti­mis­mus nicht zu ver­lieren und meinen Weg zu gehen. Heute, nach meinem schw­eren Crash, bleibt mir nur die Hoff­nung, dass die Krankheit endlich wahrgenom­men wird, dass es Forschung gibt und möglichst bald eine Therapie.

ME/CFS ist eine schreck­liche Krankheit, die mir meine Jugend nimmt und die ein Leben völ­lig zer­stören kann. Es gibt viele tausend Betrof­fene und es kann jede/n erwis­chen. Da ist es kaum zu glauben, dass es so gut wie keine medi­zinis­che Ver­sorgung gibt, erschreck­ende Unken­nt­nis und Igno­ranz bei vie­len Ärzt*innen und viel zu wenig Forschung.

Bitte: Ich werde ver­suchen, so gut es geht durchzuhal­ten, aber ich – wir! – brauchen Hil­fe. Wir brauchen Ver­sorgungsstruk­turen, wie sie jedem kranken Men­schen zuste­hen. ME/CFS und andere postvi­rale Erkrankun­gen müssen zu einem Schw­er­punkt der ärztlichen Aus- und Weit­er­bil­dung wer­den. Und wir brauchen bio­medi­zinis­che Forschung und klin­is­che Stu­di­en, damit endlich Behand­lungsmöglichkeit­en gefun­den wer­den. Bitte nehmen Sie das vieltausend­fache Leid und die Erfahrun­gen der Betrof­fe­nen ernst und han­deln Sie. Danke.

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Learn about ME/CFS
Video, 1:32 min
2022

„Das Video ent­stand für den bevorste­hen­den Besuch der Jour­nal­istin Nina Weber vom Spiegel. Ursprünglich hat­te Mila geplant, kurz direkt mit Nina Weber zu  kom­mu­nizieren. Als der Besuch jedoch näher rück­te, wurde klar, dass dies zu anstren­gend sein würde. Also entsch­ieden wir (die Eltern) uns stattdessen für ein kurzes Video und fragten Mila: Was möcht­est du den Leser*innen sagen? 

Ihre Antwort für Nicht-Deutschsprachige: ‘LER SUR ME‘ also ‚Lerne über ME/CFS‘, der Kürze hal­ber in ein­er Mis­chung aus Deutsch und Franzö­sisch. 
Wir sind es gewohnt, dass Mila auf Englisch kom­mu­niziert. Dass sie Franzö­sisch hinzuge­fügt hat, weil ‘sur‘ kürz­er ist als ‘about‘, war für uns ein Novum, weshalb es ewig gedauert hat, bis wir es ver­standen haben.“